Österreich begeht schon das ganze Jahr und besonders am 12. November 2018 die Gründung der Republik. Sie besteht allerdings nicht 100 Jahre lang, denn zunächst hieß die Republik bis 1920 „Deutschösterreich“ und zwischen 1938 und 1945 war Österreich keine Republik.
Für uns Freidenker ist aber interessant, was im „Freidenker“ zum 12. November 1918 zu lesen war – auch deshalb, weil manches aktuell geblieben ist. Und wir wollen auch in Hinkunft bei aktuellen Anlässen auf den „Freidenker“ vor hundert Jahren zurückschauen.
Nun also zu „Der Freidenker“. Organ der Freidenker Oesterreichs, Nr. 10, November 1918, 23. Jahrgang, Seite 1:
„Bürger!
Wie an den vergangenen Kriegen trägt der Klerikalismus auch an dem furchtbaren Weltkrieg schwere Mitschuld, indem er durch Presse, Kanzel und geheime Drahtzieher zum Kriege hetzte.
Darum fordern wir von der jungen Republik Trennung von Staat und Kirche!
Wir fordern, daß niemand wegen seiner Konfession bevorzugt oder geschädigt werde, wie dies bisher geschah. Wer vernunftfähig ist, wähle frei sein Bekenntnis oder werde konfessionslos. Niemand, er sei mündig oder unmündig, darf zu kirchlichen Handlungen oder einem religiösen Unterricht gezwungen werden. Wir fordern volle Glaubens- und Gewissensfreiheit und das Recht auf Konfessionslosigkeit für jedes Mitglied des Staates. Da unsere junge Demokratie für die Bildungsbedürfnisse des Volkes pflichtgemäß sorgen wird, sind konfessionelle Schulen daher nicht statthaft. (Solche können den Kirchen nur zur Erziehung ihrer Geistlichen bewilligt werden.) Alle Schulen stehen unter weltlicher Aufsicht und sind modernem Wissen und Denken zu öffnen.
Die Wissenschaft und ihre Lehre, das gesamte Erziehungs- und Bildungswesen vom Kindergarten bis zur Hochschule seien frei von kirchlichem Einfluß. Wir fordern daher vollständige Trennung von Schule und Kirche, eine wirkliche freie Schule mit weltlicher Sittenlehre und auf demokratischer Grundlage.
Jede Kirche bezahle ihren Betrieb aus der Kultussteuer ihrer Gläubigen. Steuergelder oder andere Zuwendungen aus öffentlichem Eigentum dürfen keiner Konfession bewilligt werden. Wir fordern daher gesetzliche Gleichstellung aller Kirchen und ihre Stellung unter das Vereins- und Versammlungsgesetz. Alle aus der sogenannten „weltlichen“ Macht des Papstes gefolgerten Vorrechte (Nuntien, Rangordnungen etc.) sind abzuschaffen. Es darf in unserer Republik keine päpstliche Diplomatie geben.
Erster Aufruf der Freidenker in der Republik zur Trennung von Kirche und Staat”